Verstehen Sie Eine Patientenreise

Die meisten Geschichten von Kund*innen beginnen bereits bevor die Person selbst die eigene Hörminderung bemerkt und reichen weit über den letzten Besuch bei HNO-Ärzt*innen oder Hörgeräteakustiker*innen hinaus.

Durch das Verstehen der Patientenreise, die Personen mit Hörminderung auf dem Weg ihrer Rehabilitation durchleben, können Hörexpert*innen ihre eigenen Erfahrungen im Umgang mit Kund*innen gut einbringen und durch die engere Zusammenarbeit insgesamt bessere Ergebnisse erzielen.

Eine Patientenreise unterstützt Hörexpert*innen in der Hörrehabilitation darin, die Sichtweise der Patient*innen zu verstehen und auch zu erkennen wo sie sich gerade auf ihrer persönlichen Reise befinden.

Eine Patientenreise basiert auf dem transtheoretischen Modell – welches auch bekannt ist als Stadienmodell der Phasen der Veränderung. Das Modell umfasst sechs Phasen (1. Kein Problembewusstsein, 2. Bewusstwerden, 3. Vorbereitung, 4. Handlung, 5. Aufrechterhaltung, 6. Rückfall) sowie Interventionsstrategien für jede Phase anhand derer Personen geholfen werden kann, die nächste Phase zu erreichen.

Das Modell wurde in den 1970er Jahren anhand von Studien zu Personen entwickelt, die es selbst schafften mit dem Rauchen aufzuhören gegenüber Personen bei denen weitere Behandlung erforderlich war, um ihr Verhalten hinsichtlich des Rauchens zu ändern.

Patientenreisen

Der Begriff “Patientenpfad” ist im medizinischen Kontext verbreitet, um die Berührungspunkte zwischen Patient*innen, medizinischem Personal und anderen Beteiligten zu beschreiben. Der Schwerpunkt liegt eher darin, wie Patient*innen das Gesundheitssystem, eine Klinik oder andere medizinische Einrichtung durchlaufen.

Eine Patientenreise bildet hingegen die internalen Phasen der Veränderung ab, die eine Person erlebt, von dem Bemerken einer Hörminderung bis hin zur erfolgreichen Rehabilitation und einem guten Umgang mit der eigenen Hörminderung. Wird verstanden wie eine typische Patientenreise aussehen kann, so liegt ein fundierter Rahmen für die Interaktion zwischen Patient*in bzw. Kund*in und Hörexpert*in vor, der eine passende Unterstützung zum individuell richtigen Zeitpunkt ermöglicht.

Traditionelles medizinisches Modell

Patientenpfade sind im medizinischen Modell typischerweise Teil des Behandlungsplans. In diesem Modell steht die ärztliche Versorgung und die Informationsweitergabe durch Ärzt*innen im Zentrum, Probleme und Symptome rücken hier in den Fokus. Patient*innen werden nicht oder nur wenig ermutigt ihre persönliche Vorgeschichte und Situation mitzuteilen.

Im medizinischen Modell ist das medizinische Fachpersonal in der Expert*innenrolle und dafür zuständig, was während des Behandlungstermins erfolgt. Durch das medizinische Fachpersonal wird das Problem diagnostiziert, Lösungen zugeordnet und empfohlen wie in der Behandlung vorgegangen wird.

Im medizinischen Modell stellt die eingangs stattfindende Befragung zur Anamnese vor allem einen Austausch über die spezifischen Krankheitssymptome von Patient*innen dar. Kliniker*innen sehen und definieren den weiteren Patientenpfad aus ihrer medizinischen Sicht.

Wann begannen die Probleme? Was sind die Symptome? Was das medizinische Modell jedoch nicht berücksichtigt, ist, dass Menschen mit ihren eigenen spezifischen Erfahrungen, ihrem sozialen Umfeld, ihren Kommunikationsbedürfnissen und ihrem kulturellem Hintergrund zu den Behandlungsterminen kommen.

Hin zu einem personenzentrierten Modell

Eins der wichtigsten Merkmale des personenzentrierten Ansatzes liegt in der wahrgenommenen partnerschaftlichen Interaktion zwischen Kliniker*in und Patient*in. In diesem Fall hat das medizinische Fachpersonal zwar das Expertentum im medizinisch-audiologischen Bereich, der/die Patient*in ist gleichzeitig Expert*in hinsichtlich seiner/ihrer eigenen Erlebnisse mit seiner/ihrer Hörminderung.

In diesem stärker interaktiv geprägten Modell beziehen die medizinischen Fachpersonen ihre Patient*innen in einen Dialog ein, in dem deren Sichtweisen berücksichtigt und respektiert werden.

Gemäß Miller und Rollnick kann die motivierende Gesprächsführung den Prozess einer Verhaltensänderung unterstützen, indem Kliniker*innen ihre Patient*innen helfen, ihr ambivalentes Verhalten, welches sich zwischen einer Anpassung und dem Ausbleiben einer Verhaltensänderung bewegt, zu erkunden.

Eine Patientenreise bietet eine Grundlage, die individuelle Geschichte und Situation von Patient*innen zu verstehen und eine motivierende Gesprächsführung in die Behandlungstermine einzubauen. Dadurch können Patient*innen befähigt werden, an der partizipativen Entscheidungsfindung für die eigene Behandlungsplanung teilzunehmen. 

Benefit des personenzentrierten Ansatzes

Abdel-Tawab und Roter fanden heraus, dass peronenzentrierte Beratungsgespräche nur eine Minute länger dauerten als arztzentrierte Beratungsgespräche, jedoch eine dreifach höhere Zufriedenheit und eine größere Adhärenz als Ergebnis mit sich brachte.

Die Qualität der Behandlungsergebnisse ist untrennbar mit der Fähigkeit des medizinisch-audiologischen Personals verbunden, den Schilderungen von Patient*innen zuzuhören und ihre Bereitschaft und Motivation für eine Behandlung zu erfassen – mit anderen Worten, personenzentrierte Versorgung basierend auf ein Verständnis der individuellen Patientenreise des/der Kund*in zu gewährleisten.